Legasthenie: Gesetzliche Lage in Österreich
Legasthenie: Gesetzliche Lage in Österreich

Legasthenie: Gesetzliche Lage in Österreich

Eine Thema, das mich am Anfang meiner „Legasthenietrainer-Karriere“ besonders beschäftigt, ist die Frage nach der gesetzlichen Lage in Österreich: Hat ein legasthenes Kind das Recht auf eine „mildere Beurteilung“?

Nun, während es in Deutschland einen sog. Notenschutz und einen Nachteilsausgleich gibt, sieht die Situation in Österreich ganz anders aus.

Ein KANN, aber kein MUSS

De facto gibt es in Österreich keine gesetzliche Grundlage, um die Legasthenie eines Kindes anerkennen zu MÜSSEN. Es liegt vielmehr im Ermessen des Lehrers bzw. der Schule, ob Rücksicht auf besondere Lernfähigkeit des Kindes genommen wird oder nicht. Es ist also ein KANN, aber kein MUSS – das bestätigt auch das Erste Österreichische Dachverband für Legasthenie (EÖDL), bei dem ich meine Ausbildung mache:

Grundsätzlich hat der Lehrer bzw. die Schule vom Gesetz her die Möglichkeit, die Legasthenie anzuerkennen und den Schüler wohlwollender zu beurteilen. Einen gesetzlichen Zwang dazu gibt es jedoch nicht.“

Erster Österreichischer Dachverband für Legasthenie

Die gesetzliche Grundlage, die Lehrerin einen gewissens Ermessensspielraum bei der Beurteilung von Legasthenie-Kindern lässt, ist § 16 der Leistungsbeurteilungsverordnung (LBV). Darin wird die Beurteilung von Schularbeiten im Unterrichtsgegenstand Deutsch festgelegt:

Für die Beurteilung von Schularbeiten sind folgende fachliche Aspekte maßgebend:

in der Unterrichtssprache:
a) Inhalt, wobei entsprechend der Themenstellung Beobachtungsfähigkeit, Gedankenrichtigkeit, Sachlichkeit, Themenbehandlung, Aufbau, Ordnung und Phantasie zu berücksichtigen sind,
b) Ausdruck,
c) Sprachrichtigkeit,
d) Schreibrichtigkeit;

§ 16 Leistungsbeurteilungsverordnung (LBV)

Die Schreibrichtigkeit wird hier als vierter Punkt genannt, wenn es um die Kriterien für die Beurteilung von Deutsch-Schularbeiten geht. Ein Lehrer hätte also die Möglichkeit, bei der Beurteilung ungenügende Leistungen im Bereich Schreibrichtigkeit durch gute Leistungen in den anderen drei Bereichen quasi zu kaschieren – ob er diese Möglichkeit ausschöpft oder nicht, liegt in seinem Ermessen. § 16 wurde nicht speziell für legasthene Schülerinnen und Schüler geschaffen, bietet wohlwollenden Lehrern, die „ein Auge zudrücken“ wollen, aber den notwendigen Interpretationsspielraum für eine positive Leistungsbeurteilung.

Der LRS-Erlass in Niederösterreich

Im September 2016 wurde vom NÖ Landesschulrat (heute NÖ Bildungsdirektion) ein Erlass mit „Richtlinien für den Umgang mit Schülerinnen und Schülern mit Lese-Rechtschreibschwäche (LRS) in der Allgemeinbildenden Pflichtschule“ veröffentlicht: https://www.schulpsychologie.at/fileadmin/upload/lernen_leistung/Legasthenie/richtlinien_fuer_umgang_schuelern_noe_2016_17.pdf

Neben Hinweisen zu Zuständigkeiten und Förderung wird darin zur Leistungsbeurteilung von LRS-Kindern Folgendes festgehalten:

“ Die Regelungen zur Lese-Rechtschreibschwäche zielen auf die Ausschöpfung der schulrechtlichen Spielräume bei der Leistungsfeststellung und –beurteilung ab. Eine negative Gesamtbeurteilung nur aufgrund negativer Leistungen im Lesen oder Rechtschreiben ist nicht zulässig. Durch mündliche Beiträge im Unterricht hat die Schülerin/der Schüler die Möglichkeit, ihre/seine schriftlichen Schwächen teilweise auszugleichen. Insgesamt müssen aber auch bei einer diagnostizierten Lese-Rechtschreibschwäche die Lernziele wie bei jeder Schülerin/jedem Schüler grundsätzlich erreicht werden.

  • Beurteilung von Schularbeiten: Die Schreibrichtigkeit ist nur ein Beurteilungskriterium neben Inhalt, Ausdruck und Sprachrichtigkeit. Eine negative Rechtschreibleistung allein begründet noch keine negative Gesamtbeurteilung.
  • Berücksichtigung des Bemühens der Schülerin/des Schülers, die Lese-Rechtschreibschwäche zu lindern: Dies lässt sich als positive Mitarbeit und Sicherung des Unterrichtsertrages werten.
  • Berücksichtigung individueller Lernfortschritte: Zur Aufrechterhaltung der Lernmotivation tragen Lob und das Bewusstmachen individueller Verbesserungen maßgeblich bei
  • Schriftliche Leistungsfeststellungen: Sie sollen nur im unbedingt notwendigen Ausmaß durchgeführt werden, um unnötigen Leistungsdruck zu vermeiden.
  • Ein Gutachten über das Vorliegen einer Lese-Rechtschreibschwäche bedeutet keinen Automatismus dahingehend, dass ein Kind einen besseren Notengrad o.ä. zugesprochen bekommt.
  • Ein Zeugnisvermerk über eine Lese-Rechtschreibschwäche des Kindes ist rechtlich nicht zulässig.

Braucht die Lehrkraft ein Gutachten, um eine Legasthenie/LRS berücksichtigen zu können?

Diese Frage kann ich mit einem klaren NEIN beantworten. Eltern erliegen oft dem Irrglauben ein Gutachten vorlegen zu müssen, damit die Legastenie bzw. LRS ihres Kindes berücksichtigt werden kann. Oft wird von Schulen kommuniziert, dass ein psychologisches oder pädagogisches Gutachten vorzulegen sei, um §16 der Leistungsbeurteilungsverordnung entsprechend wohlwollend auslegen zu können. Dem ist aber nicht so. Schulen entscheiden autonom, ob legasthene Kinder ein Gutachten vorlegen müssen, und wenn ja, welches.

Als Legasthenie- und Dyskalkulietrainerin bin ich berechtigt ein pädagogisches Gutachten auszustellen. Leider ist es oft so, dass weder das Gutachten eines Legasthenietrainers noch das eines Kindespsychologen von der Schule anerkennt werden, sondern nur jenes des jeweiligen Schulpsychologen. Fakt ist aber, dass die Schule kein Gutachten braucht, um eine Legasthenie bzw. LRS zu berücksichtigen – obgleich es natürlich für die Klassenlehrer hilfreich ist, von externen Fachexperten Informationen über die Bedürfnisse des jeweiligen Schülers zu bekommen.

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